Dyskalkulie und die Probleme bei der Zahlenverarbeitung

Was ist Dyskalkulie

Wie wird es offiziell definiert:

Weltgesundheitsorganisation (WHO)

Nach WHO/ ICD 10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen 1995, S. 277) ist die Rechenschwäche folgenderweise beschrieben:

„… Rechenstörung: Beeinträchtigung von grundlegenden Rechenfertigkeiten. Diese Störung beinhaltet eine umschriebene Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder eine eindeutig unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Defizit betrifft die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, …“

Kurz gesagt, Kinder im Grundschulalter fallen auf, indem sie sehr viele Fehler beim Rechnen machen. Fehler, die sich Erwachsene nicht erklären können.

Warum tritt Dyskalkulie manchmal erst in höheren Schulstufen auf?

Das lässt sich so erklären: Durch ständiges Wiederholen und üben, was in der Schule und zu Hause täglich stattfindet, werden Rechnungen mit dem Ergebnis gespeichert. Das heißt, es findet kein Rechnen mehr statt, sondern nur mehr ein „Abfragen“ des Ergebnisses. Wenn nun ein Kind über ein gutes Arbeits- und Speichergedächtnis verfügt, so ist es nicht notwendig zu rechnen.

Bei komplexen Rechnungen, als Beispiel sei Dividieren angeführt: braucht man das Schätzen, die In-Rechnung, Mal-nehmen, sowie Addition, Subtraktion und natürlich Erfahrung.

Das oben schematisch gezeigt wird gut eingeübt, deshalb fällt manchmal erst in der Sekundarstufe I oder II auf, dass es Schwierigkeiten beim Rechnen gibt.

Ab dem Zeitpunkt wo mehr mentales Zahlenwissen erforderlich ist, fallen Kinder mit Dyskalkulie im Unterricht auf. Aber auch beim Dividieren lässt sich ein Schemata erlernen. Die Kinder erlernen den Vorgang, merken sich wie eine Division „auszusehen hat“, fügen die Ergebnisse der bereits erlernten Rechenoperation zusammen und kommen zu richtigen Ergebnissen.

An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass die Defizite aufgeholt werden können (Aster 2013), wie wissenschaftlich bewiesen wurde.

Wann beginnt das Verständnis für Zahlen und Mengen?

Davon ausgehend, dass keine Schäden im Gehirn vorliegen, wie Verletzungen oder Tumore etc., braucht man ein funktionierendes Arbeitsgedächtnis gute Aufmerksamkeitsfunktion und Merkfähigkeit.

Kleinkind

Bereits ein Baby kann Mengen unterscheiden, zwar nur mit großem Unterschied, also eine kleine Menge von drei Bällen und eine größere Menge, wie 15 Bälle. Wobei der Unterschied zwischen acht Stäben und zehn Stäben noch nicht vom Baby oder Kleinkind erkannt wird.

Kindergarten Kinder können Zählen, Abzählen und kennen Zählprinzipien.

Vorschul bzw. Schulkind

Vorschulkinder können bereits visuell arabische Zahlensymbole erkennen und ein Zu- oder Abzählen, mit Fingern oder mit Zeigen auf Bildern, wird von den Kindern bereits durchgeführt.

Das Schulkind entwickelt einen mentalen Zahlenstrahl und lernt das Schätzen von Mengen. Das ist unmittelbar mit Erfahrung, also dem positivem wiederholten richtigen Ergebnissen beim Rechnen, verbunden. Im späteren Jahren wird nicht mehr aktiv gerechnet, sondern es wird das Rechenergebnis im Arbeitsspeicher abgerufen zum Beispiel: fünf mal zwei ist zehn oder zwei plus drei ergibt fünf.

Probleme beim mathematischen Denken lassen sich nicht nur auf Störungen in der Arbeitsgedächtnis- oder der Aufmerksamkeitsfunktion und die Zusammenarbeit dieser beiden Areale zurückführen, sondern auch auf die Erfahrungen die als Baby, Kleinkind sowie Schulkind gesammelt wurden und somit kulturell vermittelt wurde. Diesbezüglich gibt es Studien, die belegen, dass in Kulturen in denen es nur einen Zahlenbegriff bis fünf gibt, da darüber hinaus nicht gezählt wird, sondern nur über viel gesprochen wird, kein mathematisches Gedächtnis, im Gehirn mit Bildgebungsverfahren, nachweisbar ist (Aster 2013).

Störungen in der Arbeitsgedächtnis- oder der Aufmerksamkeitsfunktion

Michael von Aster, Diplom Pädagoge, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, St. Joseph Krankenhaus, in Berlin und Leiter einer Forschungsgruppe am Zentrum für Neurowissenschaften der Universität und ETH Zürich schreibt in seinem Buch:

„…. Eine andere mögliche Ursache kann in einer frühen
Störung domänenübergreifender Entwicklungsprozesse sein, z. B. durch organische prä-, peri- oder postnatale Risiken, sehr niedriges Geburtsgewicht  oder durch stressinduzierte epigenetische Fehlregulationen. In diesem Fall dürften auch Lerndefizite in anderen kognitiven Domänen und in verhaltensregulierenden
Funktionen zu erwarten sein, was tatsächlich auch der Fall ist.
Deutlich mehr als die Hälfte aller Betroffenen zeigen zusätzlich Symptome einer Legasthenie und einer Aufmerksamkeits-Defizit-Störung (ADS; von Aster 1996; von Aster, Schweiter, Weinhold Zulauf 2007). …“

Das heißt, dass ein Defizit sich auf das ganze Lernen, wenn man so will, sich auf die Person und ihr Lernverhalten, auswirkt. Die Conclusio kann daher nur sein:

Wenn Lernschwierigkeiten bestehen oder irgendwann an die Oberfläche treten, gilt es alle Lerngegenstände einzubeziehen, egal ob Mathematik, Deutsch oder Englisch. In der Praxis erlebt man, dass zwar der/die Mathematiklehrer_Innen oder Deutschlehrer_Innen dem Betroffenen mehr Zeit zugestehen, aber in den Nebenfächern wird rigoros verbessert und mit Rotstift angestrichen.

Literaturhinweise:

Bücher: 
Von Aster, Michael/Lorenz, Jens Holger: Rechenstörungen bei Kindern, Neurowissenschaft, Psychologie, Pädagogik. Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen. 2013.
Internet:
http://www.euro.who.int/de/search?q=bildung